13.06. - 30.07.20 | Schaufensterausstellung: Beziehungsweise, wir sind hier nicht im Internet
Das atelier automatique ist lange kein Ort öffentlicher Versammlung mehr gewesen. Die Vorhänge sind geschlossen, das Rolltor ebenfalls. Wir halten weiterhin Abstand, aber melden uns zurück aus der Queerantaine. Innerhalb der Pandemie-bedingten Rückzugsphase entstehen Gedanken, Kunstwerke, analoge und digitale Begegnungen, aber auch der Wunsch, wieder mehr mit einem Außen zu kommunizieren. Denn das gibt es noch, direkt vor uns, die Straßen sind rege frequentiert, die Fragen drängen: Wie können und wollen wir in einer Welt in Beziehung sein, in der es also doch die Mütter zu sein scheinen, die sich um die Kinder kümmern, in der rassistische Gewalt zum Alltag gehört und sich Proteste zwischen sozialen Medien und der Straße bewegen, Pflegepersonal mal Applaus, aber kein gutes Gehalt bekommt, Rettungsschirme nur über einigen aufgespannt werden und Menschen hier und da auf diese und jene Weise vereinzeln.
So entstand: Eine zweimonatige, sich stetig verändernde Ausstellung im Schaufenster, ein Versuch, die Scheiben bestehen und doch ein wenig durchlässiger werden zu lassen. Neben Dingen, die hier entstanden sind, zeigen wir Arbeiten von Künstler*innen, die wir kennen, mit denen wir in Kontakt stehen, oder deren physische Präsenz uns fehlt. Die Ausstellung sucht und fragt nach Formen unseres in Beziehung-Seins in der aktuellen Phase körperlicher Distanz – durch die Fenster, das Dazwischen. Das atelier automatique liegt in einem Wohngebiet, viele streifen es auf dem routinierten Spaziergang und dem Weg zum Supermarkt. Wie jede Beziehung ist auch die Ausstellung geprägt durch Veränderung im Wiederkehren, über die Zeit hinweg. Sie zeigt sich von Tag zu Tag anders.
„Beziehungsweise, wir sind hier nicht im Internet.“ ist der Titel der Ausstellung. Er erinnert uns: Wir sind an einem anderen Ort als dem Internet, und um diesen geht es uns hier, um die Nachbarschaft, die wir mit unseren Körpern bewohnen. Er formuliert auch eine Skepsis gegenüber der Aufforderung, als Kunstschaffende plötzlich alles ins Digitale zu übersetzen und im Internet zur Verfügung stellen zu müssen.
Bini Adamczak schreibt in ihrem Buch „Beziehungsweise Revolution“: „[...]das Verständnis der Solidarität [erfordert] ein Denken jenes zwischen, das den eigentlichen Lebensraum der Beziehungsweise bildet.“ Hierin liege das Potential einer Revolution. Wir leihen uns diesen Begriff „Beziehungsweisen“ und wenden uns dem Denken des Zwischen zu. Und gleichzeitig klingt es auch wie „Beziehungswaise“ - die wir vielleicht auch geworden sind?
Wirtschaftsweisen wird in schwierigen Situationen gern Gehör geschenkt.
Unsere Hoffnung ist: Wenn wir unseren Erfahrungen zuhören und sie ernst nehmen, gehen wir mit einer neuen Weisheit in Sachen Beziehung aus der Isolation hervor. Diese vielen Beziehungsweisen gilt es ins Spiel bringen,um unser kommendes Zusammenleben zu gestalten.
Mit Beiträgen von: Bini Adamczak, Fatima & Rabia Çalışkan, Kathrin Ebmeier, Bernice Ekoula, Abteilung Handlungspotential (Gründerin Franziska Goralski), Joscha X Ende, Heike Kandalowski, Megha Kono-Patel, Julia Nitschke, Clara Pötsch, Julia Praschma, Sophia Süßmilch, Johanna Ziemes, Filme aus dem Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets/Interkultur Ruhr (RVR) Kreativ Kollektiv (Kit, Garance, Luciel, Colin, Jo, Isabel, Eli, Moni, Felix ) und weiteren Sweethearts.
Konzept: Eva Busch, Kathrin Ebmeier
Was wird gezeigt und sich ereignen?
Eine mehrsprachige Poster-Arbeit bedeckt zunächst die Fensterfronten. Mit einem Score werden diese nach und nach abgenommen. Es entstehen Gucklöcher und im Akt des Abnehmens Kontakt zu den vorbeilaufenden Passant*innen. Die Poster werden dann weitergegeben und im öffentlichen Raum platziert.
Wer durch die Gucklöcher schaut, sieht Kunstwerke verschiedener Medien, wie zum Beispiel: Ein analoges Instagram von Clara Pötsch, eine fotografische Bezugnahme von Sophia Süßmilch und Kathrin Ebmeier, Postkarten von Bini Adamczak, sowie ein in der Rottstraße entstandener Film von Fatima & Rabia Çalışkan. Auf einem Monitor fragt ein Stummfilmprogramm aus dem Archiv für Familien- und Amateurfilm des Ruhrgebiets von Interkultur Ruhr nach Beziehungswe/aisen zu verschiedenen Zeiten. Manche der Bilder erinnern an die Isolations-Familienfilme in den sozialen Medien, oder Bieten eine Folie für die Befragung pandemischer Beziehungsweisen.
Ebenfalls dabei ist ein crew-Mitglied der Abteilung Handlungspotential, eine lebensgroße Pappkameradinnen, die die Künstlerin Franziska Goralski selbst zeigt, wie sie Protestschilder hochhält. Diese erinnert uns: „We can't go back to normal, because the normal that we had was precisely the problem.“ Ein Nachrichtenfenster, wöchentlich aktualisiert, präsentiert die eigene (Un-)Ordnung verschiedener Personen im Umgang mit aktuellen Nachrichten, die aus ihrem Feed oder anderen Orten der Nachrichtenlektüre in das Fenster gehoben werden. Einige holen sich befreundete Kommentator*innen dazu, andere nicht.
Zwischen Rolltor und Fenster wehen Fahnen über dem Trottoir, die Passant*innen so schon von weitem zurufen. Im Wechsel wird je eine andere Fahne außen angebracht. Sie verbindet die Gucklöcher mit einem von Luciel Ruppert (Initiator von Kreativ Kollektiv) kuratierten Fenster. Kreativ Kollektiv ist eine online Platform, die das Ziel hat, queere und andere LGBTQ+ Künstler*innen zu unterstützen, ihnen ein größeres Publikum zu bieten und sie weltweit mit anderen Künstler*innen zu vernetzen. Hier wird das Format mit einer Auswahl von Arbeiten in den analogen Raum zurückübersetzt.
Die Ausstellung wird finanziell unterstützt durch das Autonome Frauenreferat der Uni Duisburg-Essen.